Wer sich über „Selfcare“ lustig macht, ist sehr wahrscheinlich festangestellt

7. Dez. 2020 | Allgemein | 0 Kommentare

Wie wir unser Leben leben, ist abhängig von der Erziehung und vielleicht von den Werbemaßnahmen, die in unserem Viertel getroffen werden. Letztens stand ich an der Kasse meines Supermarktes und aus dem kopfseitig angebrachten Kassenregal, in dem Kaugummis und kleine Schokoriegel auf hungrige Hände warten, blinkte ein kleines Licht. Eine einzelne LED Diode, wie sie meine Mutter an den Weihnachtsbaum hängen würde. Vermutlich klemmte dahinter eine Batterie und das ganze Teil war von irgendeinem Regaleinräumer befestigt worden. Das Lichtlein verwies auf einen Pfefferminzdrops, der mit ganz wenigen Kalorien frischen Atem und noch ein paar andere Dinge verspricht. Dieses winzige Licht, das ich nur aus den Augenwinkeln wahrnahm, schickte mich mental auf eine kleine Reise: Ich sah mich ganz automatisch eine kleine Plastikschachtel aus dem Regal nehmen und aufs Band legen, warum auch nicht? Diese Dinger waren lecker und kalorienarm, eine Packung in der Jackentasche konnte nicht schaden.

Wer seine eigene Aufmerksamkeit nicht lenkt, dem wird sie aus der Hand genommen

Ich habe die Packung nicht gekauft, war aber fasziniert von dieser kleinen, fiesen Aktion, die offensichtlich Areale im Hirn anspricht, die wichtig für das Überleben in der Wildnis sind und die mich zum Flüchten oder Angreifen bewegen sollen, um mein Überleben zu sichern. Ich bin geflohen, aber vermutlich hat die Firma in den Tagen dieser Werbemaßnahme ihren Umsatz in deutschen Supermärkten vermutlich beträchtlich gesteigert. Die kleine Dose kostet nur ein paar Cent und wo ich grade so schön dran denken musste…

Für Freiberufler ist „Selfcare“ mehr als nur manchmal Prosecco zum Frühstück und „das Geschirr lassen wir bis morgen stehen“

Wer im Leben einem Weg folgt, der von anderen vorgegeben ist, der kann es sich leisten, Verlockungen nachzugeben – im schlimmsten Fall muss er oder sie sich einen Tag krankschreiben lassen, wenn der Vorabend ein bisschen zu wild geworden ist.

Mit Naserümpfen auf Yoga, Tee und Vitamine zu reagieren, ist wie sich darüber lustig zu machen, dass Nonnen und Mönche zu viel beten

Wir Freiberufler müssen uns um alles kümmern – auch um unsere Gesundheit. Wenn ich krank bin und nicht arbeiten kann, bleibt alles stehen: für Freiberufler gibt es keine Lohnfortzahlungen, weil es keinen Lohn gibt. Es gibt Beträge, Rechnungen und Phasen im Jahr, die nicht gut laufen. Für uns als Selbstständige ist das Naserümpfen, mit dem viele Festangestellte auf die Bemühungen der Freiberufler reagieren, gesund und strukturiert zu bleiben, alles andere als cooles Gebaren. Für uns ist pubertäres „Fleisch ist mein Gemüse“ nur das: unreifes Geplapper von Leuten, die das Gesetz auf ihrer Seite haben und Urlaubsgeld und Krankengeld und feste Arbeitszeiten.

„Das ist doch deine Entscheidung!“

In Deutschland arbeiten mehr Selbstständige und Freiberufler als in den sechs größten Firmen des Landes zusammen: EDEKA, VW, Deutsche Bahn, Deutsche Post, Daimler und ReWe. Wir sind also keine kleine Gruppe. Wir müssen uns um uns selber kümmern, „Selfcare“ ist notrwendig.

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