Nein ist ein ganzer Satz – und nicht immer ein guter

13. Nov. 2020 | Aus dem Leben | 0 Kommentare

Die Trainerin Claudia Kimich sagt: Nein ist ein ganzer Satz. Und ich bestehe auch darauf. Wer sich schlängelt und windet, wer nie ganz klar „Nein!“ sagen kann, der lebt nicht so richtig sondern wird positioniert wie eine Vase oder ein Landschaftsbild: dahin, wo es den anderen am besten gefällt.

Ein NEIN als Wächter der Würde

Mein „NEIN“ ist oft stark, streng und zieht eine klare Grenze. Ich kann mich auf mein Nein verlassen, es hat mir oft geholfen, meine Würde zu bewahren, für mich zu sorgen und mich und andere davon zu überzeugen, dass ich weiss, was ich tue und sage. 

Dabei musste ich mir mein „Nein!“ nach außen hart erarbeiten. Das „Nein!“ nach innen habe ich mit auf den Weg bekommen. 

Ich habe mit Martina Pahr eine Lockdown Challenge vereinbart: Wir wollen zwischen 5 und 1000 Kilo abnehmen und fanden, dass diese spezielle Zeit vielleicht dafür geeignet wäre: Restaurants sind geschlossen, Bars locken nicht mehr laut und hell und ein fröhliches Zusammenkommen bei Lasagne, Tiramisu und Cocoscremecocktails ist erstmal nicht in Sicht. Wir sind allein zu Haus und halbwegs motiviert. 

Ich, mit meiner katholischen und trotzdem lebensfeindlichen Erziehung, hab mir ausgefeilte Bußen für heimliche Hawaiipizzas und sündige Sahnepuddings überlegt und ermunterte auch M., sich ein paar fiese, motivierende Strafen für mich und meine schon eingeplanten Verfehlungen auszudenken. Ich dachte sogar, dass wir für uns gegenseitig „g’scheid gemeine“ Sühnaufgaben ersinnen könnten, um am Ende der Challenge das gesamte Ding künstlerisch zu verwerten: eine Art Jack-Ass für zwei Frauen über 40., das wäre doch bestimmt lustig!

Als ich M. dann an Tag 1 von meinem ersten Verstoß erzählte und sie daran erinnerte, dass sie jetzt quasi „die Rute in der Hand“ halte, überraschte sie mich. Sie sagte ganz freundlich, dass sie lieber Positives bestärken, als Negatives bestrafen würde. Dann lobte sie mich dafür, dass ich mich von anderen Dingen ferngehalten hatte und meinte, dass das doch alles ein guter Anfang sei.

Ihre warmen Worte und ihre spontane Entscheidung gegen „harte“ Strafen berührten mich sehr. Wer mich kennt, hat irgendwann von mir den Satz gehört: „Ich mag es, mir Dinge zu verbieten!“ Egal was: Alkohol am Abend, zu viel Netflix, eine bestimmte Sorte Schokolade, die mir besonders gut schmeckt: ich verbiete es! Strikt und ohne Ausnahme! Das Verbieten fühlt sich ein bisschen so an, als würde ich mich gegen einen Zaun lehnen: es gibt Halt und schneidet einen verlockenden Weg ab, der als „sündig“ gekennzeichnet ist. Das Gefühl ist zuerst sehr befriedigend. 

Und natürlich hält es meist nicht lange. Wer sich zu sehr mit etwas beschäftigt, was er oder sie nicht mehr, also auf GAR KEINEN FALL je wieder machen möchte, der kommt wahrscheinlich irgendwann an den Punkt, an dem irgendein inneres Kind der strengen Erwachsenen ausbüchst und heimlich in die Keksdose greift – einfach, weil es Spaß macht, auszubüchsen und weil man das Gefühl bekommt, etwas FÜR SICH und GEGEN DAS NEIN gemacht zu haben. 

M’s kleiner, freundlicher Kopfschüttler in Richtung meiner Strenge mir selbst (und ihr) gegenüber, hat mein übliches, striktes ICH überrumpelt und mich tief erreicht. Warum habe ich so oft das Gefühl, dass ein kristallklares, eiskaltes NEIN die Lösung für alle Probleme ist? 

Die Erziehungsberechtigten in meiner großen Familie erinnern mich im Nachgang manchmal an Markus Söder: auf alle Fragen, die irgendwas mit den eigenen Leidenschaften oder kleinen Freiheiten zu tun hatten, die außerhalb des Normalen gewesen wären und nicht im üblichen Programm gestanden hätten, war das „Nein!“ eine Standardantwort. Ähnlich wie zu den jetzigen Pandemiezeiten, in denen Herr Söder uns vermeintlich logisch und stets ruhig mit einem „Schaun Sie,“ vorneweg erklärt, warum eigentlich nichts gehen und dann aber wieder doch so einiges weiterlaufen darf wie bisher, hat für mich den Geschmack eines plassmannschen „Nein für alle Lebenslagen“. Keine Frage, die wirklich abgewogen, keine kleine Sehnsucht, die wirklich betrachtet wurde. Immer und überall: „Nein!“ oft freundlich bedauernd „Nein…“, manchmal rigoros mit empörtem Kopfschütteln „NEIN!!!“. Immer wieder: NEIN! 

Ich bin jetzt jenseits der 40 und wirklich nicht das, was man einen „seiner eigenen Geschichte gegenüber unbewussten Menschen“ nennt. Ich weiss auch, dass meine eigenen Eltern viel um die Ohren hatten mit ihrem Stall voll Kindern, dass sie selber nicht gerade freundlich aufgewachsen sind und häufig bestimmt selbst Ärger mit ihren kleinen Kindersehnsüchten und -fragen provozierten, wo man sich heute kurz die Zeit nehmen und einfach zuhören würde. Aber die eigene Härte, die, die ich gegen mich richte, mit der ich meine eigenen Zartheiten, Sehnsüchte und Leidenschaften einschränke und „sauber putze“,  die habe ich nicht gesehen. Ich habe mich immer für eine klare, strikte Person gehalten. Gerecht und gut natürlich auch. Und das NEIN spielte eine große Rolle dabei, mich abzugrenzen und mich um mich „zu kümmern“ – wie gesagt, hart erarbeitet. 

M’s kleines, unerwartetes und freundliches „ja“ zu mir hat mich wirklich erschüttert. Neue Gedanken haben auf einmal Platz gefunden nach diesem kleinen Seelenbeben – wer hätte das gedacht, sie nicht und ich auch nicht. Gedanken, die ich früher gar nicht hätte denken können, weil ich so kritisch und strikt mir selbst gegenüber gewesen war (ich möchte nicht schreiben „bin“, weil ich so gern an die große Veränderung glaube).

Wie alt muss man werden, um ganz und gar zu sein? Und ist das überhaupt die richtige Frage? Oder wie dankbar kann man sein, wenn sich auch jenseits der 40 noch Dinge verändern, weicher werden und wir uns selber ein bisschen näher kommen dürfen?

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