Warum haben eigentlich alle was Schlaues zu sagen?

23. Jan. 2019 | Alle | 0 Kommentare

Wer inspiriert nochmal wen..?

Ganz früher waren es vor allem ältere Herren, die ihre Lebensweisheiten in alle Richtungen verspritzten. Wer nicht schnell weg kam, musste den Erguss über sich ergehen lassen, keine Gnade für genervte Gesichtsausdrücke: so weit konnten die Alten gar nicht mehr gucken, um zu sehen, dass das Gegenüber keine Lust auf ihre gesammelten Erfolge, ihre Tipps und Heldengeschichten hatte.

Mach! Dich! Besser!

Heute ermöglichen uns die Sozialen Medien, schon in ganz jungen Jahren Alt-Herren Weisheiten rauszuhauen und unser Umfeld mit halbgaren Geistesblitzen zu beeindrucken.

Deep!

Ich weiss, dass man schnell in die Falle tappt. Und einfach mal ein „Atme!“ zu posten, ist bestimmt kein Verbrechen. Aber wenn mir von jeder Seite gut gemeinte Imperative entgegenschallen, wie ich zu leben habe (als wäre es mein letzter Tag), was oder wen ich meiden soll (Energie Vampire, Zucker, wahlweise Impfbefürworter oder Impfgegener), was ich öfters einfach mal machen soll (ganz lange schlafen, morgens um 5 Uhr aufstehen, Atmen!!!) kotzt es mich an.

Auch du, mein Sohn Brutus?

Jeder und jede schreit in Großbuchstaben, mit reichlich Emoticons und Rufzeichen seine oder ihre Wahrheit in die Welt – was die Gegenbewegung der „Ich trinke auch mit Kind auf dem Arm – aber ich steh wenigstens dazu!“ ermutigt, die Rückseite der „reicher-schlanker-besser“ Medaille zu prägen.

Erzähls mir!

Ich bin vielleicht altmodisch. Ich liebe die kleinen Altagsgeschichten von Menschen mit offenen Herzen und klaren Köpfen. Und auch einzelne Rufzeichen Weisheiten berühren mich – vielleicht sind sie lustig oder mutig oder von mir noch nicht gedacht. Vielleicht bin ich auch einfach zu streng, um das erste „Riech an der Blume, Bitch!“ das mir durch den Kopf schießt in die Welt zu hacken. Vielleicht ist das doof. Vielleicht dem Social Media Life nicht angemessen.

Was nun?

Ein Bekannter sagt: „Wisse es doch einmal nicht.“ was natürlich auch wieder eine Lebensweisheit ist. Es ist manchmal schwer, sich zu äußern, ohne Erkenntnisse nach rechts und links zu verteilen. Aber diese ist besonders erleichternd. Ich bin nicht Dr. Phil, der in 45 Minuten eine ganze Familie von Bulimie, Kaufsucht oder Unordnung heilen muss, wobei Lebensweisheiten bestimmt praktisch sind. Ich habe keinen Vertrag mit einem Fernsehsender, in dem ich zugesichert habe, die Welt mit wenigen Sätzen zu sanieren oder wenigstens zu inspirieren. Ich habe die Zeit, einmal die Klappe zu halten und stumpf vor mich hinzustarren, ohne Ahnung, wie es weitergehen soll.

Rilke, Baby!

Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antworten hinein.  (Geduld, Rainer Maria Rilke)

 

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