Sexismus oder „Mein Gott ist ein Mann!“

6. Jan. 2021 | Allgemein | 0 Kommentare

Ich glaube, es ist schon 20 Jahre her. Damals war ich mit einem Mann zusammen, der Filmregie in München studierte. Wir sprachen viel über sein und mein Studium (ich studierte Schauspielerei an der Bayerischen Theaterakademie) und ich erinnere mich daran, als er mir irgendwann von der Idee einer Studentengruppe erzählte, einen Film zu machen, in dem der Hauptdarsteller (ein offensichtlich ganz pfiffiges Kerlchen!) an einer Stelle im Clip mit einem Spiegel oder einer Kamera einer jungen Frau schelmisch unter den Rock schauen sollte. Danach Blick in die Kamera und zwinkern, was das Zeug hält. Er erzählte mir das nebenbei, es sollte das freche Kerlchen wohl als jungen Wilden charakterisieren – ganz lieb gemeint, um mehr ging es nicht, nur ein Typ, der echt liebenswert crazy ist. Als mir mein Ex Freund davon erzählte, fielen mir fast die Ohren vom Schädel: was für eine banale, sexistische Scheiße! Ihm war das gar nicht so böse aufgefallen, er ließ sich aber von mir überzeugen, dass die Jungs da gerade eine echte Mistidee gehabt hatten. Beim nächsten Meeting sprach er die Männer – und Frauen! – darauf an und fragte sie, ob sie mit der Botschaft kein Problem hätten. Alle – Männer und Frauen – fanden seinen Einwand übertrieben und konnten nichts schlimmes an der Aktion erkennen: is doch bloß Spaaaaß!

Und sie bewegt sich doch

Keine 20 Jahre später gibt es für den Spaaaaß nicht nur einen Namen – „Upskirting“ – sondern er ist auch illegal. Zum Glück verändern sich Dinge. Aber Sexismus begegnet uns immer noch überall. Nicht mehr ganz so ungebremst wie in den ’90 er Jahren, aber wer weiss, was wir in nochmal 20 Jahren zum Status quo von 2021 sagen werden. Immer noch spielen Frauen in vielen Bereichen keine Rolle, je älter desto weniger. Im Film zum Beispiel. In dem schon etwas älteren Film „Briefe an Julia“ von 2010 spielt die tolle Vanessa Redgrave die Oma der sehr jungen Hauptdarstellerin. Eigene Gedanken oder Befindlichkeiten darf sie keine haben, aber milde lächeln und den wichtigen Rollen mit weisen Ratschlägen zur Seite stehen. Das ist die normale Rolle der Frau über 30 – die jungen Dinger dürfen noch verzweifeln und ausflippen, so lange sie ernsthaft sexy sind und bitte rettbar. Danach stehen mildes Verständnis und Selbstlosigkeit auf dem Programm. Allein ein paar Fernsehserien haben erkannt, dass auch Frauen gern anderen Frauen dabei zusehen, wie sie echte Probleme bewältigen und mit ihren echte Persönlichkeiten kämpfen – danke, Frankie und Grace, danke Kimmy Schmidt und danke June Osborne!

Das Rollenbild „Frau“ ist immer noch extrem eingeschränkt

Wenn ich jedes Mal etwas sagen würde, wenn der Sexismus gerade wieder um sich greift, dann käme ich bei einigen Meetings und Treffen gar nicht mehr aus dem Husten, Prusten und Protestieren. Im Sommer habe ich z.B. bei einer Produktion mitgewirkt (zwei Männer, zwei Frauen) in der klar war, dass die Rollen der Männer derb, witzig, dumm, intelligent, laut, fein, leise oder alles dazwischen und noch viel, viel mehr sein könnten. Für meine Rolle fiel den Produzenten „verbittert“ ODER „sexbesessen“ ein. Schöne Alternativen.

Männer haben Charakter, Frauen Hormone

Das Problem ist das feste Bild, das sehr viele Männer und auch viele Frauen im Kopf haben. Ein sehr toller Regisseur, mit dem ich früher gearbeitet habe, ein feiner, sensibler Mensch, der mit Masken Theater macht, wo es egal ist, welcher alte Fettsack die junge Prinzessin spielt, weil man das echte Gesicht ja nicht sieht, lächelte versonnen, als er mir sagte: „Männer können besser Frauen spielen als Frauen selbst“ und ich wusste: den belehrt niemand eines besseren. Für ihn steht das fest und er wird über jedes Gegenbeispiel geflissentlich hinwegsehen. Meistens hatten seine Gruppen eine Frau im Cast, die dann „Die Seele der Produktion“ genannt wurde – sie kann zwar nicht so gut spielen, dafür kann sie ganz besonders gut milde lächeln und steht jedem mit einem weisen, selbstlosen Ratschlag zur Seite – würg!

Die gläserne Decke in den Köpfen

Diese festen Bilder in den Köpfen sind tödlich. Sie machen Gleichberechtigung unmöglich. Jeder und jede, der oder die, ganz freundlich, nicht wirklich hinschaut, zementiert eine Welt, die Frauen marginalisiert und Männer zu alleinigen Machern erhebt. Natürlich gibt es erfolgreiche Frauen, aber viele, die ich kenne, machen Business mit und für andere Frauen, was sie wieder ein bisschen abwertet gegen die echten harten Männer, die Business mit dem wichtigeren Geschlecht machen.

Was geht in meinem Kopf ab?

Meinen eigenen festen Bildern im Kopf komme ich sehr langsam auf die Schliche. Ich weiss, dass Sexismus systemisch ist und nicht von Männern allein gemacht wird. Erfolgreiche Chefinnen werden fast immer irgendwann – von Männern und Frauen – „Hexe“ genannt, während erfolgreiche Chefs einfach „durchgreifen und keinen Scheiß durchgehen lassen“.

Tote Winkel und Gendersternchen

Und um diese toten Winkel auszuleuchten, um bestehende Bilder zu überschreiben und neue Hirnwege und Denkerlaubnisse zu schaffen, brauchen wir auch die Sprache. Wenn ein Arzt immer ein Arzt ist und nie eine Ärztin, wenn ein Chef immer männlich bleibt und ein Politiker immer automatisch Hosen anhat, dann verlangsamen wir den Prozess, in dem Frauen die gleichen Chancen wie Männer bekommen. Und dass auch sehr viele Frauen das Totschlagargument „gibt es nichts wichtigeres auf der Welt als das blöde Gendersternchen!“ benutzen, heisst nicht, dass die Diskussion dämlich oder unwichtig ist. Das heisst lediglich wieder: Sexismus steckt im System und nicht im einzelnen Menschen.

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