Ich habe heute im Internet einen Artikel gefunden, der hieß: „10 Tipps, wie Sie Ihre Ausstrahlung verbessern“ aus beruflichem Interesse und steter Neugier habe ich drauf geklickt und mir die Tipps angeschaut. „Sprich langsamer“, „Atme mal wieder tief ein“, „Wenn du mit dir zufriedener bist, wirkst du auch auf andere anziehender“ pfff, ja, Danke!
Strahlen alle schon, oder brauchen wir noch mehr Webinare?
Aber da es so viele Artikel zu dem Thema gibt, scheint es ein echtes Anliegen für viele Menschen zu sein, ihre Ausstrahlung zu verbessern. Klaro, die Leute fühlen sich schüchtern, leicht zu übersehen und nicht besonders beeindruckend. Bei dem, was es an Artikeln, freien Webinaren und e-books gibt, müsste eigentlich die ganze Welt inzwischen strahlen, dass es der Sau graust. So viele Versprechen, so viel Retterglitter, so viel Zuversicht, dass aus uns allen noch charismatische Persönlichkeiten werden können.
Wenn du wirklich willst, kannst du immer besser werden!
Was für eine Idee. Und alle, die auf der Suche sind nach mehr Shine und Gravitas, halten jedes Mal den Rosetta Stone in der Hand, der endlich erklärt, zeigt, fit macht. Besonders die Webinar Titel sind beängstigend optimistisch: Mehr Kunden in 60 Minuten, Wie du endlich alle schlechten Glaubenssätze hinter dir lässt und ein neuer Mensch wirst, Beeinflusse dein Gegenüber so, dass es nicht anders kann, als sich in dich zu verlieben.
Das Geheimnis des Lebens zwischen zwei Buchdeckeln?
Wie schön, wenn das alles stimmen würde. Auf der einen Seite stressen mich diese modernen Jahrmarktzauberer mit ihren unseriösen Glanzbildchen und ihrer nervig zur Schau gestellten Erleuchtung, auf der anderen Seite inspirieren sie mich. Ich weiss es noch, liebe Kinder: in den un-social 90’er Jahren, als das Internet in Deutschland tatsächlich Neuland war, ging man durch die Buchläden, schaute auf die Titel in der Abteilung „Psychologie“ und fühlte sich nur dadurch, dass man ein Buch, das „Entfalte dein unendliches Potenzial“ hiess, ein bisschen besser, stärker und auf dem richtigeren Weg. Ich habe damals Tonnen dieser Art Lektüre gekauft, immer verspottet von meinem damaligen Freund, der meine Bibliothek und mein Bestreben nach Couch-Vollkommenheit „Eso-Speso“ nannte. Viele der Bücher habe ich gar nicht oder nur teilweise gelesen. Aber ein dicker Stapel Eso-Speso neben dem Bett fühlte sich irgendwie schon einen Schritt weiter an.
Gut ist, wie ich bin
Jetzt, mit 40, glaube ich nicht mehr an Rettung. Ich glaube an Unterstützung, an Hilfe. Aber zu große Versprechen sind wie Werbung oder Donald Trump: nicht vertrauenswürdig.
Wir haben den kritischen Blick zu verinnerlicht, um uns vorstellen zu können, dass wir eigentlich so wie wir sind ganz ok sind. Dass unser Leben eigentlich ein gutes ist, unser Partner ein Treffer. Wir haben gelernt: etwas stimmt nicht mit uns. Unser Leben braucht mehr Likes.
Rettung ist manchmal ein leises Summen
Ausserdem habe ich heute im Radio ein Lied gehört, nicht schön gesungen, aber es hat mich trotzdem getroffen. Und es ging nur darum, dass einer Angst vor dem Tod hat, weil er das Leben so toll findet. Gar nicht so irre toll, einfach nur: ich will hier bleiben! So, wie ich bin.
Wow! Das ist heute mehr Therapie als in ein 15 tägiges free Webinar passt.
Mein Zuhause ist schön. Es schneit leise. Morgen kommt Susi.
Ich bin glücklich.
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