Mein Flüchtling

24. Sep. 2017 | Alle, Aus dem Leben | 1 Kommentar

Alle Geschichten, die man über Flüchtlinge hört, sind entweder „Hochbegabter Syrer gehört jetzt zur Familie und trainiert eine Fußballmannschaft“ oder „Asylbewerber vergewaltigt Joggerin“. Ich habe eine durchschnittlichere, vielleicht normalere Geschichte erlebt.

Mit meiner Freundin Bianca habe ich Anfang 2016 beschlossen, dass wir uns um ein paar der  vielen nach München geflohenen Menschen kümmern wollten. Und so gingen wir im April ’16 ins „Cafe Wellcome“  in den Kammerspielen, um zu schauen, ob wir helfen könnten.

Die Erwartungen

Wir hatten erwartet, dass es leicht gehen würde, jemanden zu finden. Und tatsächlich mussten wir uns nur an einen Tisch setzen, um mit einer Gruppe knapp zwanzigjähriger Afghanen in Kontakt zu kommen. Da saßen diese drei junge Kerle, freundlich, die sich gern mit uns unterhielten, trotz der Hürden: sie sprachen nämlich alle fast kein Deutsch.

Aber egal: die Afghanen wurden aufgegabelt und am Ende des Abends machte ich voller Tatendrang ein erstes Abendessen für den nächsten Tag bei mir zu Hause aus: ich war bereit zu helfen, zu retten, mein Bestes zu geben.

Zu Hause angekommen erzählte ich meinem Freund von Biancas und meiner neuen Bekanntschaft. Er war nur halb begeistert: wir kannten die jungen Männer wirklich kein bisschen, woher sollten wir wissen, dass die drei nicht gewalttätig würden, sich nicht nähmen, was sie wollten und uns beide verletzten? Ich wurde unsicher, da ich keine Telefonnummer hatte, konnte ich allerdings weder absagen, noch den Termin verschieben. So kaufte ich lediglich ein paar Nudeln, Tomatensoße und Parmesan und wartete ungeduldig und aufgeregt auf meine neuen Freunde.

Ein Teenager ist ein Teenager ist ein Teenager.

Zur vereinbarten Zeit kam – niemand. Auch zwanzig Minuten, auch eine halbe Stunde später, ließen die Jungs sich nicht blicken. Ich dachte schon, sie hätten unser Date vergessen, als es nach einer Stunde an der Tür klingelte: da standen die drei, adrett und ohne Messer, einfach junge Leute, ein bisschen unsicher.

Alle setzten sich auf unsere Bank im Esszimmer. Ich hatte erwartet, dass sie mich gerührt und freudig anschauen würden, dass ich alle in den ersten fünf Minuten so lieb gewinnen würde, dass ich kinderlose Vierzigerin sofort für diese jungen Fremden durchs Feuer gehen würde.

Aber zunächst saßen sie auf der Bank. Sie ließen sich Nudeln und Soße auf den Teller füllen, erzählten dann vom Flüchtlingsheim: alles, was sie zu essen bekämen wären Kartoffeln und Nudeln mit Soße. Ich bereute die Wahl des Abendessens – ich wollte ihnen eigentlich etwas bieten, sie willkommen heißen, eine Verbindung schaffen – vielleicht den einen oder anderen von ihnen dazu bringen, eine Kindervolleyballmannschaft zu trainieren und mir dann in einem Interview mit irgendeiner Zeitung gerührt zu danken für meine selbstlose Hilfe.

Was sagt man, nachdem man „Hallo“ gesagt hat?

Mein Freund, der die ganze Sache gar nicht gewollt hatte, war wunderbar. Er brachte sich ein, begann Gespräche und kümmerte sich. Nach dem Essen, als ich dachte, wir könnten jetzt damit anfangen, eine Verbindung zu schaffen, kramten alle drei stumm ihre Handys aus der Tasche und checkten Mails und Facebook, telefonierten mit Angehörigen und Bekannten. Mein Freund und ich saßen ein bisschen dämlich daneben und warteten darauf, dass sie wieder Lust haben würden, mit uns zu sprechen.

Der Abend, von dem ich dachte, dass er in unauslöschlicher Verbrüderung, in Dankbarkeit und kitschigen Beteuerungen tief in der Nacht enden würde, wurde von den ungeduldigen Twens nach einem schnellen, billigen Essen und ein paar Worten des Dankes recht prompt beendet und ließ mich unsicher und unbefriedigt zurück.

Kultur oder Alter?

Da Bianca und ich entschlossen waren zu helfen, gab es noch ein paar weitere Abende wie diesen. Als ich meiner Schwester von meinen Treffen mit den Afghanen und ihrem Telefon-Junkietum erzählte, kam der übliche „andere Kulturen“ Monolog: die wissen einfach nicht zu schätzen, was ich für sie täte und es gäbe unüberbrückbare Unterschiede. Nachdem ich jetzt schon einige Zeit mit „meinen Flüchtlingen“ verkehrte, hatte ich verstanden, dass sie nicht viel anders waren, als junge Leute aus Deutschland: wir waren ihnen vielleicht ein bisschen zu alt, die Kommunikation war stockend. Ich sagte zu meiner Schwester „Was denkst du, wie unser Neffe V. reagieren würde, wenn ich ihn einladen würde? Würde der nicht genauso sein Handy aus der Tasche ziehen und schauen, was in seiner Welt passierte, anstatt mit den alten Leuten Konversation zu machen? Vielleicht ein bisschen besser versteckt, aber im Grunde gleich.“ Sie musste mir Recht geben.

Im Nachhinein denke ich, dass die drei vielleicht auch nicht wussten, wie sie reagieren sollten. Vieles war neu für sie. Ich habe mit M. irgendwann telefonieren geübt. Er hielt sich, nachdem am anderen Ende der Leitung jemand abgehoben hatte, nicht mit Begrüßungsfloskeln auf, sondern sagte gleich: „Hast du Job?“, weil er einfach nicht wusste, wie man sich hier meldet.

Aufteilung der „Beute“

Ein bisschen Zeit verging und Bianca und ich teilten uns die Sorge um die Flüchtlinge auf: Bianca nahm den etwas älteren, besser Deutsch sprechenden M. unter ihre Fittiche, ich den jüngeren, sehr klein gewachsenen süßen E., der fast kein Deutsch konnte. Der Dritte war immerzu müde und kam nach einer kurzen Weile gar nicht mehr.

Ich begann damit, E. mit der Sprache zu helfen. Zu dieser Zeit ging er in eine Schule, in der er sowohl in Deutsch, als auch in Mathematik Unterricht bekam. Er hatte in Afghanistan nur für wenige Monate lesen und schreiben gelernt und das strukturierte, zielführende Lernen fiel ihm schwer. Meine Tage und die meines Freundes – der den Matheunterricht übernahm – waren sehr voll, so dass die Abenden, wenn E. zu uns kam, um seine Fähigkeiten zu verbessern, anstrengend waren. E. war langsam, um nicht zu sagen: lahm. Fortschritte konnte ich lange keine sehen, die Gespräche blieben begrenzt. Ich hatte oft das Gefühl, als ginge gar nichts voran und auch nach gefühlt stundenlanger Einübung einfacher Wortreihen, wie zum Beispiel Farben, Richtungen oder Basisverben, vergaß er nach kürzester Zeit alles. In Mathematik genauso, was meinen Freund herausforderte.

Wir Gutmenschen

Nach einiger Zeit, in der ich mich bemüht hatte, eine Beziehung aufzubauen, bekam E. einen Abschiebebescheid. Er hätte in irgendeiner Verhandlung gesagt, dass zu Hause eigentlich alles in Butter wäre und so gäbe es schließlich keine Notwendigkeit für ihn mehr, hier zu bleiben. Er war einfach zu höflich, um auf Nachfragen nicht freundlich und positiv zu reagieren.

Depressiv und zerschlagen kam er von da an jeden Tag zu uns, ließ sich aufmuntern, lernte Deutsch und Mathematik und wurde zu unserem Problem. Er war mir ein bisschen ans Herz gewachsen, und auch, wenn mich seine Schwerfälligkeit häufig anstrengte, wünschte ich mir von Herzen, dass wir eine Lösung für ihn finden würden, dass er nicht mehr nach Afghanistan zurück müsste. Freunde und Bekannte halfen, völlig Fremde waren so hilfsbereit und freundlich, dass es mich zu Tränen rührte, ein Arzt in Rosenheim erklärte sich bereit, E. umsonst zu untersuchen und ein Mini-Gutachten zu erstellen, holte auf eigene Kosten einen Dolmetscher dazu und verschrieb E. sogar noch Medikamente für seine bestehende Erkältung. Wir waren ein Team, viele Menschen halfen und E. und wir kamen uns immer näher. Nach dem Besuch des Arztes verstand ich auch erst so richtig, wo E. herkam und was für ihn einfach „Neuland“ bedeutete: als ich ihm die verschriebenen Nasentropfen in die Hand drückte, fest davon ausgehend, dass alle wissen, wie man Nasentropfen benütz, drehte er die Sprühdüse von der Flasche ab, starrte auf die Öffnung und überlegte offensichtlich, einen Schluck zu nehmen. Ich musste ihm das Fläschchen aus der Hand nehmen und genau zeigen, was man damit macht.

Beziehungen und was mit ihnen passiert

Er kam eine ganze Weile zu uns. Unglaublich nett, sehr naiv und wie mir schien so aufgewachsen, dass er nur gelernt hatte, zu gehorchen, aber nicht, sich einzubringen. So war seine liebste Übung, Texte zu kopieren, Zahlenreihen abzuschreiben und Dinge zu lesen, die er schon auswendig kannte. Er war voll guten Willens, aber ohne eine Idee, wie lernen wirklich funktioniert. Der Rosenheimer Arzt hatte mir ausserdem erzählt, dass die Auswirkungen eines Traumas, das er definitiv erlitten hatte, Lernblockaden sein können.

E. war wirklich nett und sehr sympathisch. Mit seinem kindlichen Lächeln hatte er meine Mutterinstinkte angesprochen – und offensichtlich noch die einiger anderer Menschen in Betreuungsfunktionen. Nach einigen Wochen des intensiven Kontaktes kam er seltener. Dann machte er zwar noch Treffen mit mir aus, kam aber nicht. Wenn ich ihn am Telefon danach fragte, sagte er, dass er krank gewesen sei. Auf meine Ermahnungen, sich frühzeitig abzumelden, wenn er krank sei, versprach, es das nächste Mal anders zu machen. Aber er kam nicht mehr. Ich sagte mir, dass er vermutlich andere, ihm mehr liegende Vertraute gefunden hätte, was mich einerseits entlastete, andererseits beunruhigte und ein bisschen beschämte.

Das Klischee

E. blieb weg. Aber Biancas afghanischer Freund M. brauchte Hilfe: auch sein Bescheid war negativ ausgefallen. Wir bündelten unsere Kräfte, um M. zu helfen. Dabei stießen wir auf ein paar unangenehme Geheimnisse, die M. vor uns verborgen hatte: er war 1,5 Jahre im Gefängnis gewesen. Jetzt kam heraus, dass er wegen „versuchter Vergewaltigung“ gesessen hatte. Das war schwer für uns. Wir bekamen Akteneinsicht und mussten uns damit beschäftigen, wie wir dazu stehen sollten. Keine von uns hätte ihm einen Übergriff zugetraut und er beteuerte immer wieder, dass er jetzt verstünde, dass er jetzt nie wieder so etwas machen würde. Der Vorfall las sich nicht besonders gewaltsam, er hatte gleich gestanden und war währenddessen betrunken gewesen. Trotzdem überlegten wir natürlich lange, was wir tun sollten. Wir standen auf der ungedachten Linie zwischen totschweigen und streng verurteilen.

Nöte und Abgründe

Und wie bei E. zuvor, schaute ich jetzt in die Abgründe eines jungen Lebens. M. hatte die Angewohnheit, sich beim kleinsten Hindernis aufzugeben, sein Leben zu verfluchen und Alkohol zu trinken. Ich wusste, dass M. Hilfe brauchte. Aber niemand hatte die Zeit.

Sich um einen jungen, verlorenen Menschen zu kümmern, ist eine große Aufgabe, an der man leicht scheitern kann. Ich habe mit vielen Leuten telefoniert, die mir als Helfer empfohlen worden waren. Viele hatten gute Ideen und versprachen mir etliches, nur, um dann nie mehr wieder etwas von sich hören zu lassen. Und ich verstehe sie: es gibt so viel zu tun. Es sind so viele Menschen, die Hilfe brauchen. Und man selber ist auch nicht einfach eine Hilfsmaschine. Die Erfolgsgeschichten und die absoluten Tiefpunkte verpasster Integration schaffen es in die Medien. Die ganz normalen Verlorenen, die vom Wagen fallen meistens nicht.

Gute Freunde rieten mir, mich von M. zurück zu ziehen. Nach so einer Tat sei es nur normal, wenn man ihn jetzt sich selbst überließe. Bianca blieb dran, half auf ihre ruhige, zuversichtliche Art. Sie war nicht ohne Zweifel, glaubte aber an M. Ich bewunderte sie. Sie tat, was man tun konnte, ohne extra Drama. Sie half einem Menschen in echter Not, einem jungen Mann, der fast ein Freund geworden war. Sie blieb ruhig. Sie wollte tatsächlich nur zurück geben – so kam es mir vor.

Anfang August kam der endgültige Abschiebe Bescheid für M. Er war völlig aufgelöst und zog sich von allem zurück, obwohl er im Moment wohl seine Arbeitsstelle, die er vor einem Jahr gefunden hat, noch besucht.

M. und E. sind keine Helden und keine Schurken. Einfach verwirrte junge Leute, die sich hier nicht auskennen. Wie sollten sie auch? Sie kommen aus einer anderen Welt. Wie so viele werden sie hier ins Wasser geworfen, ohne Schwimmanleitung, ohne auftreibende Weste. Ich weiss nicht, was man tun kann.

Ich war in dieser Hilfssituation genauso kein Held und kein Schurke. Ich wollte helfen und wollte eine schöne Geschichte. Aber schöne Geschichten bedeuten viel Arbeit. Arbeit, die sich viele Münchner, Berliner, Hamburger, Mindener und andere machen, ohne am Ende den Lohn einer gelungenen Anekdote, eines schönen Bildes, das man herzeigen kann.

Verantwortung übernehmen heisst, da sein, ohne Kamera, ohne Zeugen. Vielleicht gibt es ein paar Verbündete, Menschen, die sich ansprechen lassen und Wege zeigen. Wer hilft, ist frei in seiner Entscheidung, wie weit er oder sie mitgehen möchte. Wer Hilfe braucht muss hoffen, abwarten und Konventionen lernen, damit er die Helfer nicht unbedachterweise von sich stößt.

Es ist schwer. Und es bleibt schwer.

 

 

 

 

 

1 Kommentar

  1. Das ist ein bewegender Beitrag. Ich kann den Versuch und den Wunsch dahinter ebenso nachvollziehen wie die damit verbundenen, unzähligen Hürden (die mich persönlich davon abhalten, weil ich die Geschichte von meiner Mutter kenne, die sich einsetzt). Es ist schön, ab und an zu lesen, dass es auch noch viele Menschen gibt, die helfen, aber wie Du schon sagst nicht in Zahlen und Medien erscheinen. Danke für’s Erinnern an Menschen mit Herz. <3

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