Gott schütze uns vor „normalen Menschen“

3. Jan. 2021 | Allgemein | 0 Kommentare

Gestern bin ich das erste Mal im neuen Jahr einkaufen gegangen. Gleich um die Ecke ist das sehr praktische Motorama. Alle Geschäfte unter der Sonne, mein türkischer Aufstrich-Mann und jede Menge Nachbarn inklusive. An diesem Tag eine freundliche, laute Frau, zwei Stockwerke unter mir, die im Sommer gern alle Nachbarn mit frisch geerntetem Gemüse versorgt und im Fahrstuhl gleichzeitig aufdringlich und abwehrend sein kann – ein Kunststückchen!

Da werden Nachbarn zu Hyänen

Als ich gerade aus dem Supermarkt komme, sehe ich diese Nachbarin in meine Richtung laufen. Als wir zwei Meter von einander entfernt sind, beginne ich die nachbarschaftliche Konversation: „Frohes neues Jahr!“ rufe ich. Sie ist leicht genervt vom Aufgehalten Werden und holt gleichzeitig aus, um mir irgendetwas zu erzählen. Dabei fährt sie mit dem Daumen über ein paar Münzen, die sie auf der Hand liegen hat. Ein junger Mann kommt auf uns zu, die Münzen fixierend und uns seine Hand in einer Bettlergeste entgegenstreckend. Kurz bevor er uns erreicht, dreht er ab und läuft an uns vorbei. Dabei lacht er laut und schräg. Meine Nachbarin fühlt sich offensichtlich angegriffen von dem lauten Lachen und macht ihn nach, meckernd und aggressiv. Daraufhin dreht sich der junge Mann um, nimmt seine Maske ab. Er kommt drohend auf uns zu – er hat eine Hasenscharte, eine deformierte Nase und wirkt alles in allem kognitiv eingeschränkt. Ich rufe „Alles ist gut!“ und hoffe, dass er weitergeht, dass sich hier nicht irgendeine Aggression an meiner unbedachten Nachbarin entlädt.

Asoziale müssen nicht unbedingt Unterhemd und Bierflasche tragen

Da kommt von rechts ein älterer, sehr gut gekleideter Herr. Er hebt die Faust und ruft dem jungen Mann, der nichts gemacht hat, außer ein bisschen blöd zu lachen und sich von meiner Nachbarin angemacht zu fühlen, zu: „Setz die Maske auf, du Arschloch!“ Einfach so. Das kann der junge, Mann, der mit sich selbst in einer fremden Sprache redet und als „Ausländer“ auffällt, nicht ertragen. Laut brüllend macht er Anstalten, hinter dem alten Herrn herzulaufen. Ich rufe „Stopp!“ Und „Alles ist gut!“, meine Nachbarin klingt sich ein und plärrt hinterher „Der hat keine Zähne im Maul aber frech werden!“, woraufhin ich ihr „Halt die Klappe!“ ins Gesicht schreie. Der Alte hört auch nicht auf, den jungen Mann zu beschimpfen. Er geht so weit, dass ich wirklich Angst bekomme, dass einer von beiden Gefahr läuft, verdroschen zu werden.

Bullies will be Bullies

Ich verstehe nicht, wie zwei „normale“ Menschen nicht begreifen, dass die Situation Deeskalation braucht. Wie sich zwei, von der Gesellschaft akzeptierte Mitglieder an einem jungen Outcast so abarbeiten müssen. Dass sie nicht sehen, dass Empathie angebracht wäre anstatt Anstacheln und Hass in Richtung fremd, arm, anders.

Für mich war die Situation so aufwühlend, dass ich noch stundenlang an meine Gefühle der Ohnmacht und Angst denken musste. Und dabei verstehe ich den Impuls, jemanden nachzumachen, der einen erschreckt hat oder jemandem etwas zuzurufen, wenn man sich darüber aufregt. Aber dann nicht loslassen, wenn man merkt, dass das hier wirklich in die Hose gehen kann, das verstehe ich nicht. Vor allem als sichtbar wurde, dass der junge Mann mindestens eine leichte Behinderung hat.

Auch das sind Privilegien: wir dürfen schreien, du nicht!

Aber alles Recht, so wirkte es, war auf der Seite des pöbelnden alten Mannes und meiner Nachbarin. Wenn beide eine Flasche Rum in der Hand gehalten und verfilzte Haare gehabt hätten, wäre allen klar gewesen: das sind die Asis! So waren die beiden „gerecht empört“ wie ein Gott aus dem alten Testament.

Normalität, my ass!

2021 bleibt uns nichts anders übrig, als das Normale weiterhin zu hinterfragen. Kann ich einfach so mitgehen, nur, weil man das eben so macht? Weil jemand mit den richtigen Symbolen, der teuren Jacke, den gewaschenen Haaren, der geschmackvollen Brille, pöbelnd „sein Recht“ einfordert? Wie wichtig Äußerlichkeiten sind.

Wenn es Wandlung zum Besseren geben soll, dann bitte mit Sinn und Verstand, mit Herz und Mitgefühl. Arschlöcher bleiben Arschlöcher, egal, welche Uhr sie tragen.

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