Die Welt wird ein Märchen: wie wir ganz allein durch den Wald finden müssen

7. Apr. 2020 | Alle | 0 Kommentare

Die Welt ist zu einem Märchen geworden. Ganz allein auf uns gestellt, müssen wir jetzt in den dunklen Wald. Wie Hänsel und Gretel, Rotkäppchen oder Gerda aus der „Schneekönigin“, haben wir den Auftrag unseren Weg zu finden und uns nicht davon abbringen zu lassen. Manchmal treffen wir Freunde, die vielleicht so ähnlich denken wie wir. Das sind die kleinen Pausen der Erholung, die im Märchen die gute Fee mit dem warmen Süppchen oder dem freundlichen Hinweis wären.

Deine Probleme sind nicht meine Probleme

Noch nie ist es mir so stark aufgefallen, dass auch Menschen, die ich mag, mit denen ich vielleicht sogar verwandt bin, in einer völlig anderen Situation stecken, ein anderes Märchen leben als ich. Sie können sich einfach nicht in meine Lage versetzen oder meine Probleme verstehen. Sie nennen diese Zeit eine „Krise“, obwohl sie eigentlich nur gemütlich zu Hause sitzen, ihr üppiges Gehalt weiter einläuft und das einzige Drama ist, dass sie jetzt jeden Abend Lust auf Grillen haben – Kalorien, Baby! (ich weiss schon: jeder leidet nach seinen Möglichkeiten und was weiss ich denn. Aber als eine nahe Verwandte mit stattlichem Doppelgehalt und schicker Wohnung in eine WhatsApp Gruppe das Video „Machen wir das Beste draus“ von – würg! – Silbermond postete, dachte ich aus vollem Herzen: „HÄÄÄÄ?“ ) Eine wirklich gute Bekannte, mit der ich mich jeden Tag austausche und die noch arbeiten darf, fragte, nachdem ich ihr von meinen momentanen Motivationsproblemen berichtete: „Warum denn?“ und auf mein entschuldigendes „Vielleicht wegen der Krise…“ schaute sie mich irritiert an: „Welche Krise…?“ – sie hatte meine Situation schlicht gar nicht auf dem Schirm.

Psst! Ich weiss was!

Das sind die Menschen, mit denen im Moment Verbindung schwer fällt, weil sie im Gegensatz zu mir immer noch auf einem Planeten der Sicherheit leben, auf dem sich so schnell nichts gravierend verändern wird. Dann gibt es auf der anderen Seite die Leute, die mit den krudesten Verschwörungstheorien anbandeln, ihren neu erworbenen Insider Glauben in die Welt tröten und alle für unbewusst halten, die nicht mit aufspringen auf den Zug des Weltenwandels. Oder eben auf den der weltpolitischen Verschwörung. Und natürlich die „Realisten“, die jedem auf die Nase binden, wie das hier noch alles ausgehen wird. Glaub es mir! Ich hab es ganz früh gewusst! Wer die Augen verschließt, dem wird es schlecht ergehen…

In einem dunklen, dunklen Wald…

Es ist so leicht, in irgendeinen Strudel zu fallen, sich mitziehen zu lassen, nicht mehr zu wissen, wo mir der Kopf steht und wo meine Füße sitzen. Vom Weg abzukommen. Ich bin im Wald, in meinem wilden Märchen. Die Sirenen locken, die dunklen Berge drohen, die Irrlichter wollen mich in eine andere Richtung ziehen und am Boden warten gut versteckte Löcher darauf, dass ich in ihre Falle tappe.

Wie Innen, so Außen

Das Märchenbild hilft mir. Das Locken und Rufen ist schwer zu ertragen. Die Unklarheit von Außen, die brodelnde Suppe im Innen, die tagelang verräterisch ruhig vor sich hin köchelt im Angesicht der warmen Sonne und des blauen Himmels, um dann auf einmal zu spritzen und zu sprotzen, dass es mir den Atem nimmt.

Was ist nochmal „normal“?

Ein bisschen verzweifelt habe ich zu einer Freundin am Telefon gesagt: komm, wir bleiben normal, ja? Ein frommer Wunsch in einer Phase, in der nichts einfach „bleibt“. Weder die Zeit, noch die Menschen, noch ich selber. Ich erinnere mich an die frühen 2000’er Jahre, als die Morphingvideos ganz neu waren. Man war so stolz darauf, so etwas programmieren zu können, dass auf einmal ständig aus rothaarigen Teenagern asiatische Seniorinnen wurden, die sich dann in bärtige Inder verwandelten.

Genauso gehts mir. Das macht das Märchen knifflig: auch die Heldin (in dem Fall: ich!) verändert sich jede Sekunde, für mich selber viel zu schnell.

Lernen von den Märchen

Was macht man denn, wenn alles immer wieder neu und immer wieder anders ist? Was machen denn die Kinder im Märchen? Die gehen einfach weiter. Nicht zu schnell und nicht zu langsam. Einfach weiter. Sie lassen sich finden vom Schicksal und den freundlichen Helfern, die leider nicht bleiben können, sondern immer nur für kurze Zeit Licht ins Dunkel bringen. Sie weinen manchmal. Aber in Panik geraten sie nicht. Und sie kommen immer irgendwohin.

Wie soll dein Märchen ausgehen?

Es scheint, dass jeder und jede grad sein eigenes Märchen schreibt – oder schreiben lässt. Vom Schicksal, von den Medien, von den anderen. Ich merke, dass ich schon immer mit mindestens einem Bein in einer Fantasiewelt gelebt habe. Jetzt , wo mir klar wird, dass es vielleicht nichts anderes gibt als verschiedene Fantasiewelten. Ich bin mein eigener Ritter, meine Prinzessin, mein Hänsel, meine Gretel.

Bitte bleibt poetisch. 

❤️

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