Die Notaufnahme: Eine Beobachtung in Sachen „Loslassen“

11. Apr. 2018 | Alle, Aus dem Leben | 0 Kommentare

Mein Freund hatte letzte Woche eine Erste-Hilfe Schulung. Dort hat er gelernt, dass man auf jeden Fall zum Arzt gehen sollte, wenn man einen elektrischen Schlag bekommt. Der „Elektriker Tod“ wartet offensichtlich überall und ist niederträchtig genug, einem mitten in der Nacht den Saft abzudrehen.

Ich hänge Lampen auf

Am Dienstag wollte ich eine Lampe aufhängen, die seit Wochen herumsteht. Zum Dank für die Aufmerksamkeit bekomme ich einen gewischt. Ich habe noch nie einen Schlag bekommen und dieser war wirklich beeindruckend. Abends erzähle ich meinem Freund davon, der sofort anordnet: wir fahren ins Spital! Kein Wehren nützt, ich werde fürsorglich und unter Protest ins Krankenhaus rechts der Isar transportiert. Ausgerüstet mit Büchern und aufgeladenen Smartphones kommen wir an die Rezeption.

Bitte Abstand halten

Mir war mein Lampenabenteuer ein bisschen peinlich. Typisch Frau, typisch Städter, typisch ich. Ich hatte schon geplant, der Rezeptionistin mein Anliegen leise zuzuflüstern, als sich hinter mich und hinter die „Bitte Abstand halten!“ Linie am Boden ein Mann und seine recht korpulente Frau pflanzt.

Im Sternzeichen Jungfrau, Aszendent Linien-Einhalterin, strecke ich meine Hand aus und ranze den Mann an: „Bitte Abstand halten!“

Mein Horoskop sagt, dass ich in fast allen Häusern Deutsch bin – außer in meinem Strandhaus: da bin ich Italiener!

Den Stachel bloß nicht ziehen, sondern immer schön fest reindrücken!

Der Mann und die Frau frieren kurz ein. Nach gefühlten 0,5 Sekunden faucht er zurück. Er und sein Weib fangen an, außer sich vor Gekränkt- und Verletzt Sein, Beleidigungen zu schmieden und sich bei einander so laut über mich zu beschweren, dass ich es mithören muss. Mein armer Freund, der wirklich gar nichts dazu getan hatte, kriegt es auch ab: dass hier Bayern ist und wir ja wohl offensichtlich widerliche Preußen, typisch! Und wie man sich so aufregen könne über eine kleine Unachtsamkeit. Und wie wir schon aussähen! Und überhaupt: eine bescheuerte Sau, ihr Mann ein Eber!

Wie baut man sich einen Käfig?

Zu viert laufen wir schließlich in den Wartebereich, mein Freund und ich begleitet vom lauter werdenden Gekeife der beiden. Wir suchen uns einen Platz weit weg und versuchen, nicht zuzuhören. Ich spüre, wie die Frau mich haßerfüllt anschaut und sich wünscht, dass ich zu ihr rübersehe. Vermutlich würde sie auf den sterilen Fussboden spucken, so sehr geifern die beiden immer noch über meine ausgestreckte Hand und meinen wenig freundlichen Satz. (Übrigens wird aus meiner gestreckten Hand schließlich: „Und wie die mich geschubst hat!“)

Ich kann länger: das Perpetuum Mobile des Gekränkten

Die volle halbe Stunde, die die beiden fünf Meter entfernt von uns auf unbequemen Stühlen saßen, steigerten sie sich weiter und weiter in eine Aufregung und eine Abscheu hinein, mit denen ich offensichtlich nichts mehr zu tun hatte. So ließ mich das Gefluche relativ unbeeindruckt, ich war lediglich leicht unangenehm berührt von den Blicken der Dicken.

Alles was ich denken konnte, war: die Armen! Vermutlich arbeiteten sie an dieser unwichtigen Situation alte Gefühle ab, konnten nicht weiter, mussten immer wieder zurücksehen und zogen eine seltsame Mischung aus Hass-Energie und Befriedigung aus dem Wiederkäuen des Erlebten.

 Spieglein, Spieglein an der Wand

So klar habe ich lange nicht gesehen, wie hässlich es aussieht, wenn man sich verbeißt, nicht loslässt und kein Ende findet, sich nicht selbst beruhigen kann, immer wieder den Blick in einen schrecklichen Spiegel sucht, um seinen Puls in die Höhe zu treiben und ein Gefühl dafür zu bekommen, was es heißt, am Leben zu sein: Unrecht, Hass, Wut, Danke Merkel!

Don’t feed them after midnight!

Ich kann mich auch festbeißen. Ich kann mich drehen und wenden im Erlebten bis ich ganz paniert bin, bis an mir ein Erlebnis klebt und mich antreibt.

Ich bin dankbar dafür, dass ich vor Jahren sehen durfte, dass die vermeintliche Energie, die man durch dieses sich-am-eigenen-Spieß-drehen gewinnt, durch lästern, ärgern, aufregen, kleben bleiben und einen Teil von mir füttert, auf den ich aufpassen muss. Einen Hockenbleiber, einen Neidischgucker, einen Ausredensucher, einen Andere-Verantwortlich-Macher.

Ich verstehe die Sehnsucht nach dem „ER WARS!“ aber jetzt, mit etwas über 16, weiß ich, dass daraus seit der dritten Klasse kein Schuh mehr geworden ist. Es gibt keinen Schiedsrichter, der einen anderen dazu verurteilen könnte, sich bei mir zu entschuldigen. Kein Lehrer weit und breit, keine Mama, die gerecht und stark für Ordnung sorgt.

Wer sich nicht selbst beruhigt, kriegt Herzinfarkt.

Ich muss mir selbst mein Leben einrichten. Und ob ich ein Himmelbett oder eine Jauchegrube in mein Schlafzimmer stelle, bleibt mir überlassen.

 

 

 

 

 

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