Dann machen wir das eben jetzt so – über die Anpassungsfähigkeit in Zeiten wie diesen

26. Mrz. 2020 | Alle | 0 Kommentare

Als ich vielleicht sieben oder acht Jahre alt war, bin ich bei einer wilden Verfolgungsjagd mit meiner größeren, damals durchaus brutalen Schwester durch die Glastür im Korridor  gelaufen. Irgendwie konnte ich nicht mehr bremsen und bin mit dem Arm voran durchgestoßen. Ich war geschockt aber unverletzt. Die Scheibe war kaputt, das war natürlich doof allerdings erinnere ich mich an keine Konsequenzen – man vergisst ja auch gern. Was ich aber noch weiss, ist, dass die Scheibe eine ganze Weile nicht mehr eingesetzt wurde. Die Tür, also der Holzrahmen, in den mittig das Glas gehörte, konnte nach wie vor benutzt werden, wenn er jetzt auch keine Funktion mehr hatte.

Kinder und ihre Akzeptanz des Neuen

Es zog natürlich schrecklich durch die Öffnung, aber das lustige ist: wir Kinder hatten kein Problem damit. Ich erinnere mich daran, aus Spaß durch das Loch gestiegen zu sein, mit der Tür gespielt zu haben. Quasi in der Sekunde haben wir die neue Situation akzeptiert und spielerisch genutzt. Das ist ja vielleicht auch ein kreatives Potential von Kindern: dass sie sich schnell anpassen und einen neuen Zustand einfach nicht hinterfragen, sondern sofort annehmen.

Erwachsene und ihr Genervtsein, wenn alles nicht beim Alten bleibt

Ich musste im Nachhinein, als ich selber schon Partnerschaften mit manchmal unwilligen Männern hatte, an meine Mutter denken. Die hat bestimmt nicht mit dem Loch in der Tür gespielt und sich daran gefreut, dass man jetzt durch die Tür durchlaufen kann. Ich kann mir vorstellen, dass sie meinem Vater – dem als „Mann im Haushalt“ natürlich die Reperaturaufgabe zufiel – die Hölle heiss gemacht hat, immer wieder nachgefragt und  ausweichende Antworten von Seiten ihres Gatten mit ihrem unnachahmlichen Giftblick gepaart mit düsterstem Höllengrollen quittiert hat. Was man eben so macht als Erwachsener, wenn eine Situation im Erwachsenenleben aus dem Ruder läuft, wenn eine Veränderung über einen hereinbricht, die man nicht haben möchte.

Die lieben Kinder und die harten Erwachsenen?

Ich dachte lange, dass das ein großer Unterschied zwischen Erwachsenen und Kindern sei: die Fähigkeit, sich anzupassen, neue Situationen zu integrieren, zu akzeptieren und sofort anzunehmen.

Oder ist der Unterschied gar nicht so groß?

Ich habe  mich geirrt. Seit ein paar Tagen – und zwar wirklich erst: seit ein paar Tagen! – dreht die Welt sich ein bisschen anders. Schnell sind wir an einen Punkt gekommen, an dem der „Personal Space“ angeschwollen ist wie ein gebrochener Fuß, an dem Kontakt ein Verbrechen ist und an dem eine Facebook Freundin schreibt, sie habe einen Film gesehen und die ganze Zeit gedacht: die stehen doch alle viiiel zu dicht beieinander!

Und wer berührt mich..?

Die Angst und der Fokus auf Abstand sind so schnell und so gründlich in unsere DNA geschwappt, dass ich heute morgen fast geweint hätte, als ein junger Mann nicht mit verkniffenem Gesicht wartete, bis ich in den Fahrstuhl stieg, sondern sich an mir vorbei drückte, so dass sich unsere Arme an voller Längsseite berührten. Fast ein intimes Ereignis, geboren aus seiner Ignoranz und Überzeugung, unangreifbar zu sein. Nehme ich an. Wer weiss schon, was in den Millennials vorgeht…

Panik reist in Lichtgeschwindigkeit

Ich habe gedacht: um von der Panik nicht angesteckt zu werden, genügt es nicht, ruhig zu bleiben. Man muss aktiv gegensteuern. Sind wir einfach so viel besser trainiert im Empfangen und Weitergeben von Angst und Elend? Wissen wir am Ende einfach nicht, wie das geht, Glück? Liebe? Ich habe gedacht, wenn alles so übertragbar wäre, wie die Furcht, die Abstandsheiligkeit (ich weiss schon: das ist jetzt wichtig und da können wir froh sein, dass alle mitmachen. Danke, Frau Polizistin, Frau Doktor, Herr Regaleinräumer und lieber Mann an der Kasse!), wenn alles so leicht ginge, wie die Panik weiterzugeben, wenn sich die kritische Masse in Richtung Liebe, Vertrauen und diesen ganzen esoterischen Kram genauso leicht und fast automatisch bewegen würde – wie geil wäre das eigentlich?

Solidarität wie aus Hollywood und die echte, leise, die man nicht auf Facebook teilt

Es gibt ein großes Aufgebot an Solidarität im Moment. Das ist toll. Wer mag, klatscht um neun Uhr abends aus den Fenstern für Polizistinnen und Pflegepersonal und Supermarktkassierer (dass man diese drei Berufsgruppen mal in einem Atemzug als „systemrelevant“ bezeichnen würde, hätte man sich auch vor ein paar Tagen noch nicht vorstellen können). Was das Klatschen diesen Leuten genau bringt, frage ich mich seit einer Ewigkeit, also seit ungefähr zwei Tagen.

Aber, dass mir halbfremde Menschen Anträge weiterleiten und mich fragen, wie es mir denn jetzt so geht, finde ich natürlich toll.

Ich bete für euch alle mit!

Grade erfahre ich, dass ich Ostern allein verbringe, weil meine Freunde, die mich eingeladen hatten, zu viel Angst haben, um Besuch zu empfangen. Vielleicht verstecke ich mir selber Eier. Oder ich laufe die Isar entlang bis nach Freising. Das wollte ich schon lange mal machen. Jetzt wäre es eine Art Wallfahrt. Vielleicht ist danach der ganze Spuk vorbei…

 

 

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