Am Sonntag bin ich aufgewacht und saß so auf einem Stuhl (in Wirklichkeit auf der Toilette, aber das muss ja nicht jeder wissen!) und schau auf meine Beine. Da seh ich auf meinem linken Oberschenkel einen sehr schwarzen Fleck, der am Tag davor noch nicht da war. Direkt daneben ein zweiter Fleck, der ein bisschen verbrannt aussieht. Ich werde ein bisschen nervös, stehe schließlich auf, um meinem Freund die beiden Macken zu zeigen. Er wird sofort weiss und sagt: „Ich würde zum Arzt gehen!“ erst da verstehe ich, was er denkt: Hautkrebs!
Wie schnell sich ein Leben verändern kann
Es ist Sonntag und ich habe an dem Tag ein Seminar, deswegen kann ich erst Montag gehen und habe jede Menge Zeit, mir die Flecken anzuschauen und mir auszumalen, wie es weiter geht. Ich bin ganz erstaunt, dass ich ziemlich ruhig bleibe. Ich denke: wenn es so sein sollte, habe ich endlich Zeit, zu Hause zu bleiben und mehr zu schreiben. Ich kann mich ausruhen und langsamer machen. Ich denke, dass ich dann wirklich das „OK von Oben“ hätte, kürzer zu treten und google heimlich die spirituelle Bedeutung von Hautkrebs. „Das ungelebte Leben“ sagt das Netz und ich tue mir ein bisschen Leid. Ich denke, dass ich jetzt vielleicht die Rechnung kriege für mein: das schaff ich auch noch! Und dass ich in meinem Leben viel weniger in der Sonne gelegen habe als alle anderen. Ich überlege, wann ich zu meinen Eltern fahren soll, ob ich meine Schwester Regina anrufen soll und bringe den Tag und das Seminar irgendwie rum.
Die Nacht macht Schrecken groß, tröstet aber auch
In der Nacht liege ich wach. So klar ist mir geworden, dass ich mein Leben gern ein wenig ruhiger hätte, ein wenig mehr für mich. Ich weine ein bisschen, mein Freund tröstet mich. Er hat auch Angst. Ich schaffe es zu denken: wenn ich ganz gesund sein sollte, wie kann ich dann mein Leben so ändern, dass ich mehr Ruhe habe, ohne im Krankenhaus liegen zu müssen und geschwächt von Behandlungen zu sein? Muss es immer erst um die ganze Wurst gehen, bevor man etwas ändert?
Am nächsten Tag sitze ich nervös in der Ambulanz der Hautklinik. Ziemlich klein und beeindruckt vom Nummernziehen und dem Anmelden und von den ganzen Leuten.
Endlich komme ich in die Behandlungskabine. Ich erzähle meine Geschichte und die junge Assistentin, die noch auf die Ärztin wartet, sagt mir gleich: „Also, ein Melanom ist das schon mal nicht!“ und ich denke: warten wir mal auf die Frau Doktor, du Huhn! Frau Doktor kommt, eine junge Skandinavierin, die sehr sympathisch und freundlich alles anschaut. Dann sagt sie: „Ich denke, es ist ein Spinnenbiss.“ Mich würgt es kurz. Ein SPINNENBISS??? „Zwei Einstiche neben einander. Das wird eine Spinne gewesen sein.“ Sie erzählt noch was von „schwarzem Belag“ wo ich mich dann kurz schütteln muss.
Gott, wenn es dich wirklich gibt, gib mir Spinnenflüssigkeit!
Ich gehe erleichtert und mit einem Rezept, das so wichtig ist, dass es die Kasse übernimmt. Mir ist mein Drama jetzt ein wenig peinlich und ich beschließe meine Freundin Susi anzurufen, die auf dem Land lebt und bei der wir am Samstag Abend waren: da hat mich das Vieh bestimmt gebissen!
Ich bin natürlich froh, dass ich keine schlimme Krankheit habe und wünsche allen, die nicht so leicht davon gekommen sind alles Gute und viel Kraft. Mein Leben wird sich jetzt ändern. Die kleine Spinne hat mich ganz schön beeindruckt und ich werde ihre Bisse, so lange sie sichtbar sind, als Erinnerung daran nehmen, was ich ändern möchte.
„Gott, wenn es dich wirklich gibt, gib mir Spinnenflüssigkeit!“ ist aus dem Lied „Krümel“ von Rainald Grebe
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