Am Samstag, nach einer anstrengenden, guten Comedy Tour, bin ich noch schnell in den neuen Edeka Markt am Hauptbahnhof gegangen, der für München eine absolute Besonderheit: er schließt erst um 23 Uhr!
Wir sind die armen Tröpfe, die in der Dauer ihrer Ladensöffnungszeiten höchstens von den Iren unterboten werden – aber diese Information ist auch schon gefühlte 20 Jahre alt.
Ganz aufgeregt raunen sich die Münchner „Supermarkt bis elfe!“ zu und kommen in Scharen.
Nach der Comedy Tour stand auch ich vor dem Laden und sehe dieses Schild:
„Sehr geehrte Kunden, wir bitten Sie nur noch Reisebedarf einzukaufen! Vielen Dank für Ihr Verständnis!“ Mit zwei Rufzeichen!
Nachdem ich das Schild gelesen habe, betrete ich den Superdupermarkt ein wenig anders. Ist eine Familienschachtel Mercie noch Reisebedarf? Eine Packung Klopapier? Ein Fleischwurstring? Grauzone!
Es fängt an, mir Spaß zu machen, mir die Dinge anzuschauen, für deren Rechtfertigung als Reisebedarfsartikel ein bisschen Fantasie nötig wäre: Katzenstreu zum Beispiel oder Backmischungen. „Das Katzenstreu brauche ich, weil in meiner Reisetasche eine große Fanta ausgelaufen ist!“
„Ich esse schon seit 1975 auf Zugreisen ausschließlich rohe Backmischungen in Pulverform aus der Tüte. Dazu gibt es einen Liter Milch, herrlich!“
Eine friedliche Einladung zur Rebellion gegen das bayerische Ladenöffnungsgesetz ist dieses Schild. Wir alle dürfen mitmachen und harmlos konsumierend verschmitzt lächeln über uns und unseren geheimen Pakt mit dem Verkaufsriesen EDEKA.
Kleine Regelübertretungen machen Freude.
Ich weiss noch, wie meine Mutter – ich war vielleicht 5 Jahre alt – und ich einmal allein zu Hause waren. Keine Ahnung, warum, normalerweise war die Bude voll: fünf Geschwister, meine Großmutter und meine Eltern wohnten zu dieser Zeit unter einem Dach.
Da meine Oma nicht da war, musste meine Mutter kochen, was sie sonst nicht tat. Es gab irgendwas mit Nudeln, daran erinnere ich mich. Als das Essen auf die Teller kam und wir beide die ersten Bissen probiert hatten, schauten wir uns entsetzt an: Das konnte man nicht essen.
Wäre meine erzkatholische, vom Krieg geprägte Großmutter im Haus gewesen, hätten wir aufessen müssen, keine Diskussion. Meine Oma stippte sich sogar völlig eingetrocknete Brotkanten in den Kaffee, damit nichts verkäme.
Meine Mutter ist weniger gläubig, weniger Weltkrieg und ziemlich frech. Zusammen haben wir – heimlich verschworen! – die Nudeln in mehrere Lagen Zeitungspapier gerollt und dann ganz unten in der große Mülltonne versteckt. Was für ein Spaß! Bis heute ist das eine der eindrücklichsten Erinnerungen, die ich an meine Kindheit und meine Mutter habe. Eine kleine Verletzung der Hausdoktrin, ein geheimes WIR, das lebendig und warm macht.
Und egal, was man anschaut, was man macht, wo man hingeht: diese kleinen Dinge, die anders sind als erwartet, die den Zeh über die weiße Linie schieben und andere mitnehmen, die sich auf das Unbekannte, die kleine neue Erfahrung einlassen, sind das Salz in jeder Suppe, das Wow jeder Show. Da, wo Grenzen bewusst und spielerisch überschritten werden, mit dem großen Zeh oder dem ganzen Fuß, kann man sie austesten, verbessern und die Nerven der Zuschauer angenehm kitzeln. Da hebt alles ein bisschen ab.
Das Publikum auf diese feine Art an den Rand der Sitze zu bringen, ist ein Geschenk an Lebendigkeit.
(Nur, wer wirklich kann, sollte darüber hinausgehen – Leute vom Stuhl zu werfen kann Kunst sein, oder Brutalität.)
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