Der Frühling hat mich überrascht.
Jedes Jahr haut es mich um. Aber nicht so, wie die anderen. Ich bekomme, wenn es warm wird, als erstes mal Depressionen. Das ist ein bisschen peinlich, aber ich denke jedes Jahr: nein! Bitte nicht, ich bin noch gar nicht fertig mit dem dunkel-sein! Und der liebe Gott reisst seinen Himmel auf und schreit „Morgenstund hat Gold im Mund!“ und alle rennen in die Berge und gehen klettern. Ich mag diese Münchner Sport-Society wirklich nicht! Letztens saß ich mit meiner Freundin Christiane im Cafe, die sich grade gegen einen Flirt mit einem ansehnlichen Mann entschieden hatte, weil seine Lieblingshobbies vor allem „sportln und klettern“ waren. Richtig so!
Mir geht das mit dem Frühling jedenfalls normalerweise zu schnell, mein Ich ist noch auf dem Kuschelplaneten, ich will nicht angrillen und ohne Unterhemd aus dem Haus.
Aber dieses Jahr war es anders.
Im Winter war ich kurz jahresmüde und dachte: so ein Scheiss. Jetzt geht das Ganze von vorne los: Frühling, Sommer, Herbst und Winter, Frühling, Sommer, Herbst… You’re getting the picture. Ich war auf einmal so gelangweilt und angeödet, dass ich für eine kurze Zeit dachte: ich muss wegziehen, irgendwohin, wo es das alles nicht gibt. Madagaskar, Thailand, Spitzbergen. Hier halte ich das alles nicht mehr aus.
Und dann kam der Frühling. Und die kleinen Knospen haben mich berührt wie ein pausbackiger Kinderchor, der ganz unschuldig ein Halleluja singt. Die milde Luft, die warme Sonne, der blaue Himmel. All das hat mein muffeliges Herz erreicht und wirklich mich gemeint, mich ohne ein beleidigtes Rollorunterziehen gleich mitgenommen in die Welt der Blüten- und Knospenwunder.
Ich sollte insgesamt aufhören, mir Dinge vorzustellen. Das Gefühl zu haben, ich wüsste, was kommt. Ich hab keine Ahnung, wie es weiter geht. Und nur, weil ich jeden Tag atme, ist noch lange nicht ein
Tag wie der andere – zum Glück!
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