Vor ein paar Wochen habe ich einen älteren Herrn gesehen. An der U-Bahnstation Universität machte er einer sehr jungen Frau Platz und ließ ihr den Vortritt beim Einsteigen in die U3. Ein charmanter Mann, weit über sechzig. Er lächelte auf eine Art und Weise, die sich noch an Zeiten erinnerte, in denen er als Liebhaber für Damen unter 30 in Frage gekommen wäre. Ein harmloser Flirt, von der Zwanzigjährigen belohnt mit einem kecken Seitenblick, dankbar für die kleine Galanterie.
Ich musste schmunzeln.
Flirten über 60 ist männlich
Und dann dachte ich, wie man die Situation wohl empfinden würde, wenn eine Frau im Alter des Mannes einen Studenten so angelächelt hätte.
Eine ältere Frau, die – wie zart auch immer – ihre Fühler ausstreckt, daran erinnert, dass sie sexuell Partnerin war, immer noch sein könnte, daran sind wir nicht gewohnt, das stellt alles auf den Kopf.
Die Freiheit, aufdringlich zu werden, gilt nicht für Catherine Deneuve
Natürlich haben alle Angst vorm Altern, Männer und Frauen gleichermaßen. Allerdings wissen Männer, dass sie mit ihrem Bubencharme noch kurz vor der Bahre ein Recht auf kleine Flirts, auf lebendige Interaktionen mit dem anderen Geschlecht haben. Die Ladys brauchen schließlich immer Bestätigung von einem Y-Chromosom Träger, egal wie der aussieht, wie alt er ist oder welche soziale Stellung er hat – oder etwa nicht?
Bei Frauen fängt die Glocke ab 30 an zu schrillen und wird dann immer nur noch lauter – so die landläufige Meinung. Ich sehe viele Geschlechtsgenossinnen zwischen 40 und 50, die in vorauseilendem Gehorsam in der Öffentlichkeit eine bittere Miene aufsetzen. Jeder Blick wird als Angriff wahrgenommen, sie können sich nicht vorstellen, anderes gesehen zu werden, als wie man es ihnen erzählt hat: zu fett, zu alt, zu häßlich. Das Wort „Frauenliteratur“ bringt es auf den Punkt: nicht ganz ernst zu nehmen. Und ehrlich gesagt: wenn eine von den Damen im nicht mehr ganz knusprigen Alter nichts Liebliches beizusteuern hat, hält sie besser den Mund – oder am allerbesten: sie bleibt zu Haus.
Mit Mitte dreißig allein – die mitleidigen Blicke gratis gibts oben drauf
Nach meiner letzten Trennung – ich war 35 – hatte ich auf einmal das Gefühl, dass jetzt alles vorbei sei.
Ein „Flirt-Winter“ brach an, in dem ich als Eisprinzessin am hinteren Rand der Tanzfläche meines Lebens stand. Drei lange Jahre, in denen ich bissige Entschuldigungen fand, warum ein Mann nicht gut genug war, in denen ich mich gefühlt immer hinter einer Säule versteckte, auch wenn gar keine da war. In denen ich mich nicht besonders gut leiden konnte.
Ich konnte mir nicht vorstellen, für andere attraktiv, interessant, begehrenswert zu sein.
Bis mir eine Freundin ein Video zeigte.
Komm, Oma: Ficken!
Eine über 80 Jahre alte Frau hatte ein Buch über ihr kürzlich erstmals (!) erwachtes Sexualleben geschrieben. Jetzt zog sie durch die Vorabendunterhaltung und sprach, grauhaarig, stockgestützt, von ihren Erfahrungen als uralte Nymphe.
Weder Publikum noch Interviewer – Markus Lanz, die Pfeife! – konnten umgehen mit der freizügigen Oma, die wirklich nichts ausließ in den Beschreibungen ihrer Schäferstündchen, ihrer Orgasmen, ihrer Liebhaber.
Mich fegte diese „Beichte aus dem Schaukelstuhl“ genauso aus der Bahn, wie die meisten Leute im Publikum der TV Sendung. Wenn das möglich war, was wartete dann in meinem 40 Jahre jüngeren Leben noch auf mich?
Flirte, bis der Arzt kommt
Nach dieser Erleuchtung läutete ich meinen ungefähr fünften Frühling ein. Und zwar mit Genuss: flirten, knutschen, unvernünftig sein war wieder möglich wie mit 20. So ein Kopf ist gut um sich Wege zu merken, kann aber auch viel Schönes verhindern.
Letztens hat mir wieder eine Freundin erzählt, dass sie sich jetzt, mit Anfang 40 zu alt, zu hässlich, zu unattraktiv fühle, um noch einmal eine Beziehung zu haben.
Warten ist schlechtes Old-School, Baby.
Das einzig Unattraktive ist oft die eigene Meinung, die man von sich selbst hat. Die Erlaubnis, frech, lebendig und sexy sein zu dürfen, musst du dir selber geben.
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